Handelt es sich um einen selbstreflexiven Gestus, gar ein Bekenntnis, oder um einen typischen Hammann-Witz, wenn die seit dreißig Jahren erfolgreiche und mit vielen Preisen ausgezeichnete Autorin im Alter von 55 Jahren einen Roman über einen 55-jährigen Schriftsteller veröffentlicht, der nach dreißig Jahren an der Spitze »færdig« (6; fertig) und nicht mehr gefragt ist und in einer tiefen Schreib- und Existenzkrise steckt? Ihre Hauptperson Georg war ein Stern auf dem literarischen Parnass, seine Bücher wurden in hohen Auflagen gedruckt und in viele Sprachen übersetzt, doch jetzt sind andere Autor:innen, andere Themen und andere Bücher aktuell. Er ist ausgeschrieben, überholt und wird nicht mehr beachtet. Die selbstreflexive Darstellung einer problematischen (männlichen) Künstler- und Autoridentität, einer Schreibkrise und vor allem der Marktabhängigkeit der Literatur ist ein bekanntes und etabliertes Thema der Literatur, am prominentesten durch Knut Hamsuns »Sult«, Hjalmar Söderbergs »Den allvarsamma leken« oder Herman Bangs »Stuk« vertreten. Besonders um die Wende zum 20. Jahrhundert wurden Kunst und Literatur oft in ihren medialen Bedingungen und in ihrer Marktabhängigkeit reflektiert. Wenn Hammann im 21. Jahrhundert einen locker geschriebenen und lustigen Roman hinzufügt, der sich leicht liest und durchgehend ironisch und witzig ist, kann man wohl davon ausgehen, dass auch die Selbstreferenz nicht ganz ernst gemeint ist. Aber bedeutet das, dass das ganze Projekt lediglich als Witz intendiert ist? Ist es nur unterhaltsam, oder richtet sich der Stachel der Ironie gegen ernstzunehmende Gegner?
Wir kennen Kirsten Hammann seit ihrem frühen Roman »Vera Winkelvir« (1993) als ironische Sprachkünstlerin, die Klischees benutzt, um sie auszustellen, um die Artifizialität der postmodernen Existenz auszudrücken. Zunächst ging es in ihren Texten um die grotesken Zwänge, die die Weiblichkeit, den Körper und die Sprache selbst determinieren. In jüngeren Romanen wie »En dråbe i havet« (2008) oder »Alene hjemme« (2015) nimmt sie mit ihrer ironisch-distanzierten Schreibweise nicht nur ihre selbstzentrierten (meist weiblichen) Hauptpersonen in ihrem Streben nach Aufmerksamkeit und Perfektion aufs Korn, sondern auch deren Projekte: Glücksstreben, Tourismus oder Hilfsprojekte für die sog. Dritte Welt. Dabei ist sie immer sprachgewandt, witzig und durch ihre distanzierte Erzählhaltung erbarmungslos und entlarvend. Ihr ironischer oder auch satirischer Gestus kommt einer indirekten Mitteilung gleich, mit der das überzogen Dargestellte an den Pranger gestellt wird.
Für ihr Werk wurde Hammann mehrfach ausgezeichnet, 1994 erhielt sie den Klaus Rifbjerg-Preis für Lyrikdebütant:innen, 1998 und 2005 wurde sie für den Literaturpreis des Nordischen Rats nominiert. Ihr erster Roman »Vera Winkelvir« wurde in Deutschland in der Übersetzung von Peter Urban-Halle 1996 beim Verlag Achilla-Presse publiziert. Der etwas schwächere Roman »Se på mig« (2011) erschien unter dem reißerischen Titel »Paarungsbereit« 2014 in einer Übersetzung von Flora Fink beim Münchner btb-Verlag. Während sie in Dänemark mit Christina Hesselholdt, Helle Helle, Solvej Balle und Naja Marie Aidt zu einer starken Generation von experimentellen und viel gelesenen Autorinnen gehört, kann sie für den deutschen Literaturmarkt noch entdeckt werden.
In ihrem jüngsten Roman geht es also um Georg, der mit seinen 55 Jahren nicht mehr gefragt ist, sich ausgegrenzt und wertlos fühlt und sich in einer umfassenden Existenzkrise befindet. Noch schlimmer als seine Produktivitätskrise ist die Tatsache, dass nun seine Frau begonnen hat, einen Roman zu schreiben, der sie offensichtlich nicht nur in Euphorie versetzt, sondern zu allem Überfluss verspricht, ein Riesenerfolg zu werden. Der Verlag hat sich bereits die Rechte gesichert, indem er einen großen Vorschuss bezahlt hat. Die männliche Midlife-Crisis wird also gesteigert durch ein Ehe- und Eifersuchtsdrama, denn Georg kann die muntere Schreiberei seiner Ehefrau nicht ertragen. Ihr fröhliches Lachen, das unermüdliche Klappern der Tastatur und die gelben post-it Zettel füllen das ganze Haus, aus dem Georg sich verdrängt fühlt. Die aufmunternden Besuche des Verlagslektors geben ihm den Rest. Er versucht, ihr Projekt zu boykottieren, indem er ihr Ratschläge gibt, die sie bewusst in die Irre führen, regt sinnlose Forschungsaufgaben an, die sie verwirren, und versucht schließlich sogar, mit einer Art Voodoo-Buch den Fortschritt ihres Buches und ihren Erfolg zu verhindern. Ob und inwiefern das gelingt, soll nicht verraten werden. Auf jeden Fall ist der Handlungsverlauf von Übertreibungen geprägt und der Protagonist ist kein interessanter Charakter, sondern erfüllt das Klischee eitler und egozentrischer Männlichkeit. Doch die Satire strahlt in alle Richtungen aus: Sie betrifft nicht nur die selbstbezogene Männlichkeit und den geradezu Strindberg´schen Geschlechterkampf der Eheleute, sondern auch die therapeutischen Ratschläge, die Georg einholt, und die Apps, die er sich anschafft, um aus seinem seelischen Tief herauszukommen und wieder gute Laune zu haben. Sie zielt aber auch auf den Buchmarkt und seine gnadenlose Bestseller-Orientierung. Nur was Erfolg und Gewinn verspricht, hat auf dem Markt eine Chance und wird gefördert und beachtet. In diesem Zusammenhang bekommt auch die aktuelle Autofiktionswelle, die den Buchmarkt zurzeit beherrscht, ihr Fett weg, genauso wie das brutale Thrillergenre, an dem Georg sich jetzt versucht, um wieder Erfolg zu haben und an die Spitze zurückzukehren. Entweder muss man über perverse Serienmörder schreiben, die reihenweise Morde verüben, um Sex mit toten Frauenkörpern zu haben, oder man muss einen geisteskranken Vater haben oder Muslim und schwul sein (vgl. 14-15), um das Verlangen des Publikums nach wahren und möglichst problemerfüllten Lebensgeschichten zu befriedigen.
Der Literaturmarkt fordert unaufhörliche Innovation und funktioniert durch stetige Aufmerksamkeitserregung, die durch die Selbstinszenierung der Autor:innen in den sozialen Medien unterstützt wird. Bücher sollen verkauft und in Rezensionen angepriesen werden, was in der dänischen Tagespresse durch ein Sternesystem veranschaulicht wird, nach dem Vorbild von Reiseportalen oder online-shopping. Ein Buch wird ein Erfolg, wenn es sechs Sterne erhält, in mindestens fünf Auflagen erscheint und übersetzt wird, am liebsten »til serbisk og italiensk, på én og samme dag« (59; ins Serbische und Italienische am selben Tag). All das muss natürlich in täglichen Facebook-Posts der Autor:innen erwähnt und bekräftigt werden. Was gilt, sind nur die großen Literaturfestivals, die Fernsehinterviews, die Selfies auf Instagram, der Auslandsverkauf, die Filmrechte.
Georgs (psychischer) Komplex ist dadurch begründet, dass er ›fertig‹ ist, ausgeschrieben und außen vor, während der Problemkomplex des Textes darin liegt, dass er – auf unprätentiöse, lustige Weise – die Zusammenhänge zwischen der männlichen Krise und den Herausforderungen der alles beherrschenden Medienwelt zeigt, für die es kein Außerhalb gibt. Nichts gilt, was jenseits von Facebook und Instagram, vom Internet, seinen Apps und Bewertungen liegt, sie durchdringen alles, ihre Stimmen dringen in Georgs Bewusstsein und in seinen Alltag ein, so dass sich nicht mehr unterscheiden lässt zwischen der Realität, den Gewaltfantasien des Krimis, der Ratgeberstimme aus der Gute-Laune-App und den Instagram-Posts seiner Kollegen.
Diesen Effekt erreicht die Autorin durch ihre charakteristische Erzählweise, die wir aus anderen Texten Hammanns kennen. Wie gewohnt erzählt Hammann auch dieses Mal in der dritten Person (»Georg er færdig«, 6; Georg ist fertig) und in einer Art von erlebter Rede (aber im Präsens), so dass eine Balance von Nähe und Abstand entsteht: »Arh, skulle Georg ikke slappe lidt af, han er så dramatisk. Nej, det skal Georg ikke. Der er jo ikke nogen, der er død. Jo, der er. Georg er blevet stukket ned bagfra« (29; Ach, sollte Georg sich nicht ein bisschen entspannen, er ist so dramatisch. Nein, das soll Georg nicht. Es ist ja niemand gestorben. Doch, ist es. Georg ist von hinten niedergestochen worden). Die Ausdrucksweise gibt die Innenperspektive des Protagonisten wieder, die dritte Person und die Übertreibungen seiner Egozentrik schaffen aber einen ironischen Abstand. Die Ambivalenz wird erhöht durch ständige Wechsel zwischen dieser Innensicht und anderen Stimmen. Da ist zum einen eine auktoriale Perspektive: »Hvor er det synd for Georg, at han altid overdriver sine problemer« (99; Georg ist zu bedauern, dass er seine Probleme immer übertreibt), da sind zum anderen kleine Dialogpassagen, die die überwiegend monologische Darstellungsweise unterbrechen. An wiederum anderen Stellen geht die Narration über in die Wiedergabe von Georgs Innenwelt, in seine Imaginationen und Wahnvorstellungen (»Åh, gud nej, Georg har smadret indgangspartiet på Statens Museum for Kunst« (13; Ach Gott, nein, Georg har den Eingangsbereich des Nationalmuseums zerstört). Auch Zitate aus der Gute-Laune-App und aus den sozialen Medien interpunktieren den Text, ohne dass all diese Stimmen jedoch durch Anführungszeichen oder Stilwechsel markiert würden, so dass ein ständiges Gleiten zwischen verschiedenen Perspektiven die Narration charakterisiert. Darüber hinaus schaffen die kurzen Erzähleinheiten, in die der Roman gegliedert ist, einerseits eine gewisse Leichtigkeit und ein hohes Tempo, sie spiegeln aber andererseits die Rastlosigkeit und die vielfältigen Herausforderungen, denen Georg sich ausgesetzt sieht. Die ständigen Wechsel sind Zeichen einer fragmentierten Welt, ähnlich dem bunten Puzzlespiel, das Georg auf seinem Mobiltelefon spielt in einem hoffnungslosen Versuch, eine Ordnung zu etablieren und Kontrolle zu gewinnen.
Auf diese Weise entsteht ein Kaleidoskop, ein fließender Übergang zwischen verschiedenen Erzählniveaus, so dass nicht immer klar ist, wer spricht. Unvermittelte, direkte, originale Gedanken oder Sätze scheint es nicht zu geben, alles scheint zitiert und vermittelt zu sein. Wir haben es also nicht nur mit einem witzigen Roman über einen egozentrischen, monomanischen und lächerlichen Mann zu tun, die ironische Darstellungsform ist auch auf die Verlagsbranche, den Literaturmarkt und vor allem die mediale Durchdringung der gegenwärtigen Gesellschaft gerichtet. Daher ist es ein weiteres selbstreflexives Zeichen, wenn Hammann, die bislang sehr zurückhaltend auf Instagram agiert hat, dort in einem kurzen Video mit »Georg-komplekset« in der Hand und folgenden Worten auftritt: »Georg skal på Instagram. Det kommer man ikke udenom nu om dage. Hvis han vil gøre sig nogensomhelst forhåbning om at få sin bestseller ud i verden, skal han være på Instagram. Køb den! Læs den! Elsk mig!« (210; Georg muss auf Instagram. Darum kommt man heutzutage nicht herum. Wenn er sich irgendeine Hoffnung machen will, seinen Bestseller in die Welt zu bringen, muss er auf Instagram sein. Kauf ihn! Lies ihn! Liebe mich!). Ist das ein Zitat aus dem Roman oder eine Reklame für das Buch? Oder Ausdruck für die ›Komplexe‹ (= Verknüpfung von verschiedenen Teilen zu einem geschlossenen Ganzen) der Mediengesellschaft?
Kirsten Hammann: Georg-komplekset, Gyldendal, 2022.
(Annegret Heitmann, Ludwig-Maximilians-Universität München)