Aufklärung in Bildern: I morgen bliver bedre – Bind 1: Kongen von Karoline Stjernfelt

kongenDank P.O. Enquist (Livläkarens besök, 1999; Der Besuch des Leibarztes) ist die Geschichte des deutschen Arztes Struensee, seines Machtaufstiegs in Dänemark sowie seiner Liebesaffäre mit der Königin Caroline Mathilde und seines Sturzes mit der Konsequenz der Hinrichtung international bekannt geworden. Seit dem Tod Struensees (1772) haben sich Autoren mit dem Thema nicht nur im Norden, sondern auch in Deutschland, Frankreich und Italien beschäftigt. Bemerkenswert ist auch die Vielfalt der Medien, die für die Bearbeitung der Geschichte eingesetzt wurden: Romane, Theaterstücke, Filme bis zu einer Oper und einem Musical. Allein im Jahr 2015 ist ein Roman von Dario Fo über das Thema erschienen, während die Dramatisierung des Romans von P.O. Enquist ihre Premiere in Stockholm feiert. Niemand hätte jedoch gedacht, dass diese irre, aber wahre Geschichte in der Form eines Comics erzählt werden könnte! Abgesehen von der 1955 in der französischen Zeitung France Soir erschienenen „bande dessinée verticale“ Caroline-Mathilde et Struensée, wo die Texte jedoch nicht in Sprechblasen, sondern nach den Zeichnungen als Erklärung geordnet sind, markiert Karoline Stjernfelt mit dem ersten Band von I morgen bliver bedre nicht nur ihr Debüt, sondern auch die Erscheinung der bisher einzigen Graphic Novel über die faszinierenden Ereignisse, die sich zwischen 1766 und 1772 am dänischen Hof ereigneten.

Karoline Stjernfelt, 1993 geboren, hat sich an der Serieskolan in Malmö ausgebildet und ist jetzt am Zeichenbüro Kulkælderen in Kopenhagen tätig. Vor I morgen bliver bedre hat sie schon einige Comics in Anthologien wie Knivsæg, Kulkælderen 3 und Bon Kultur veröffentlicht.

1. Kongen ist der erste Band des ambitionierten Projektes von I morgen bliver bedre. Nach diesem ersten Band, der die Geschichte bis vor der europäischen Reise des Monarchen erzählt, sind in den nächsten Jahren der zweite und der dritte Band, jeweils mit den Titeln 2. Dronningen und 3. Lægen , geplant. Einem dreibändigen Projekt über diesen historischen Stoff waren schon der deutsche Dramaturg Johann Ernst Daniel Bornschein mit dem Drama Friedrich Graf von Struensee oder das dänische Blutgerüst (1793-1795) und der schwedische Schriftsteller Axel Lundegård mit dem Roman Struensee (1898-1900) nachgegangen. Während in beiden Fällen der Fokus auf die Figur des Struensee gelegt war, versucht Karoline Stjernfelt die drei Hauptakteure der Handlung – Christian VII., Caroline Mathilde und Struensee – gleichgewichtig zu behandeln. Das lässt sich nicht nur an den Titeln der drei Bände ablesen, sondern wird schon in diesem ersten Band bestätigt, in dem die Königin die Rolle der Erzählerin übernimmt, Christian der eigentliche Protagonist ist, während der Arzt schon als Wendepunkt der Geschichte eingeführt wird. Die ersten fünf Seiten lassen auch eine weitere Idee erahnen, die der Universalität bzw. der Unsterblichkeit und vielleicht daraus folgend die der Aktualität der Geschichte. Das legt zumindest der Text der Seiten 4 bis 7 nahe, der lautet: „Vor tid i verden er kort. Og verden er stor og tom og tavs. Men måske hvis vi kan være med til at ændre på fremtiden. Måske endda gøre den bedre. Så har vi jo på sin vis vores del i den. Og dermed udødelighed.” (Unsere Zeit in der Welt ist kurz. Und die Welt ist groß und leer und stumm. Aber vielleicht wenn wir helfen können die Zukunft zu verändern. Vielleicht sie sogar besser zu machen. Dann haben wir ja auf eine Art Teil daran. Und damit an der Unsterblichkeit.)

Während dieser Text eine einfachere Interpretation anbietet, lassen die Zeichnungen sowie der aus dem apokryphischen Buch der Weisheit zitierte Text („Åndedrættet i vore næsebor er som en røg, vor tanke som en gnist, der springer ved hjertets slag“; Der Atem in unseren Nasenlöchern ist wie ein Rauch, unser Gedanke wie ein Funke, der beim Herzschlag zündet) eine Art mystische Atmosphäre entstehen, die viele Fragen offen lässt. Stirbt Caroline Mathilde im Schneewald? Wer ist der Mann, der mit ihr läuft? Diese Fragen bleiben unbeantwortet und bauen Spannung für die folgenden Bände auf. Diese ersten Seiten scheinen letztendlich als Siegel der Autorin, die wie ein allwissender Gott die Geschichte einrahmen, aber gleichzeitig listig dem Leser keine präzise Antwort geben will.

Was darauf folgt, ist ein weiterer Rahmen, in dem Caroline Mathilde 1775 im Exil in Celle an ihrem Schreibtisch sitzt und die Geschichte ihrer Lebensjahre 1766 bis 1772 niederschreibt. In einem langen Flash back, der bis zum Ende des Bandes andauert, erfahren wir zunächst von dem traurigen Abschied der fünfzehnjährigen Prinzessin von ihrem Heimatland England, bevor sie nach Dänemark reist, um ihren noch nicht volljährigen Gemahl Christian zu treffen. In Kopenhagen folgt die Handlung den ersten schwierigen Momenten der Beziehung. Der Monarch erweist sich als komplizierte Person, die kein Interesse für die Königin zeigt, sondern sich lieber dem Theater – als Zuschauer sowie als Schauspieler – widmet. Bald erfährt die junge Königin, dass der König an einer psychischen Krankheit leidet, die den strengen Lehrmethoden seines Hoflehrers Reventlow zuzuschreiben sei – das behauptet jedenfalls der andere Hoflehrer, der Schweizer Reverdil. Noch schlimmer wird die Situation für die Königin, da ihr Mann regelmäßig ein Bordell besucht, wo er sich in die unter dem Namen „Støvlet-Katrine“ bekannte Prostituierte Anne Cathrine Benthagen verliebt. Die einzige sexuelle Begegnung zwischen Christian und Caroline, von der erzählt wird, dient nur der Zeugung eines Thronfolgers. „Men sådan skulle det ikke gå“ (Aber so sollte es nicht gehen), sagt die Erzählerstimme auf Seite 92. Caroline Mathilde unterstreicht schon jetzt mit einer Art Prolepse, dass ihre Präsenz am Hof nicht nur wegen der Geburt des Kronprinzen erwähnenswert ist.

Hier wird nun die Geschichte des im damaligen dänischen Altona tätigen deutschen Arztes Johann Friedrich Struensee eingeschoben, was vermuten lässt, dass er eine wichtige Rolle in Carolines Leben spielen wird. In Altona trifft der Armenarzt seine aufgeklärten Freunde Rantzau und Brandt, die von der Situation am dänischen Hof erzählen. Zurück in Kopenhagen wird die Prostituierte verhaftet und vom Hof entfernt, was eine psychische Krise des Monarchen verursacht, der kurz danach jedoch eine europäische Reise plant. Auf dieser Auslandsreise kann Caroline ihren Mann nicht begleiten, da sie sich um den Kronprinzen kümmern und deswegen in Kopenhagen bleiben muss. Wer jedoch wieder ins Spiel kommt, ist Struensee, da die Minister einen Reisearzt für Christian benötigen. Der erste Band endet mit den Vorbereitungen des Arztes, der von seinem Freund Rantzau über die höfischen Regeln unterrichtet wird, bevor er dem König begegnet.

Die Geschichte der sogenannten königlichen Affäre der dänischen Aufklärung ist sicherlich dem skandinavischen bzw. deutschen Publikum vor allem durch den Film En kongelige affære von Nikolaj Arcel (2012) bekannt. Auch im Fall der Graphic Novel ist der Königin die Rolle der Erzählerin zugeteilt. Im Gegensatz zur kinematographischen Version sorgt Karoline Stjernfelt aber für eine skrupulöse und minuziöse historische Rekonstruktion: Während die Schauspielerin Alicia Vikander eine schöne und faszinierende Königin darstellt, bleibt die Zeichnerin der Realität näher und zeigt eine unattraktive Caroline. Wichtig ist auch die gelungene Darstellung der Altonaer Zeit, die fiktionale Versionen mit solcher Präzision bislang kaum erzählt haben. Bemerkenswert ist die Recherche der Autorin, die nicht nur Biographien gelesen hat, von denen die sehr umfangreiche Biographie Den Afmægtige (2008) von Ulrik Langen über Christian VII. zu erwähnen ist, sondern auch einige wichtige Orte der Geschichte besucht hat, unter anderen das Celler Schloss und das Schloss Frederiksberg in Kopenhagen. Ein noch größeres Verdienst ist jedoch dem Stil der Zeichnerin beizumessen. Ihre Zeichnungen lassen sich als klassisch beschreiben. Karoline Stjernfelt arbeitet der französischen Schule nach, was in ihrem Zeichenstil, der von der sogenannten „ligne claire“ (Zeichnungen mit klaren Konturen) geprägt ist, zu erkennen ist. Zwei weitere Anmerkungen über die Comics von Stjernfelt sind zu erwähnen. Einerseits wirken die bunten und sehr expressiven Zeichnungen wie eine Art Stummfilm, dessen Verständnis ohne viele Texte möglich ist, andererseits machen die Dialoge die Handlung frischer, damit man sich quasi als Figur der Geschichte im 18. Jahrhundert fühlen kann.

Karoline Stjernfelt zeigt letztendlich, wie der Struensee-Stoff heute noch produktiv sein kann und sie trägt dazu bei, dass ein regelrechter Struensee-Boom die dänische literarische Szene erfüllt. Während die Graphic Novel sofort bei ihrem Erscheinen von der dänischen Zeitung Politiken als Erfolg begrüßt wurde, ist Dario Fos neuer Roman in dänischer Übersetzung veröffentlicht worden. Der er en skør konge i Danmark (auf Italienisch C´é un re pazzo in Danimarca, 2015) erzählt nämlich die Geschichte des verrückten Christian VII. Zwei unterschiedliche Werke mit zwei verschiedenen Perspektiven, die aber gemeinsam die Freude daran zeigen, einen historischen Stoff neu wiederzugeben.

Karoline Stjernfelt: I morgen bliver bedre 1: Kongen,  Kopenhagen: Cobolt, 2013.
(Sergio Ospazi, München, Dezember 2015)

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