Signe Schlichtkrull: Krak

Im Schein einer Taschenlampe durchs Dunkel der Finanzwelt: Signe Schlichtkrulls Roman Krak

Die Banker spielen „dark golf“, als die Finanzkrise im Jahr 2008 hereinbricht. Es ist ein Sinnbild der Orientierungslosigkeit, die in Signe Schlichtkrulls Roman „Krak“ die Menschen erfasst: „De har en joke hvor de går over og spiller på banen i mørke med lommelygter. De kalder det dark golf. Mørkegolf.“ („Sie haben einen Witz: Sie gehen über den Platz und spielen mit Taschenlampen im Dunkeln. Sie nennen es dark golf.“)

Dieses Spiel ist Teil der Partys, die der Finanzanalyst Claus besucht. Dorthin locken Kokain, Alkohol, Mädchen und das Gefühl, zu denen zu gehören, die es geschafft haben. Entlassungen, faule Kredite, schlechte Ratings und sinkende Aktienkurse werden verdrängt. Der Roman zeigt eine Bank im Auflösungsprozess.

Signe Schlichtkrull hat damit nach ihrem 2009 erschienen Debüt „Fogeden“ wieder ein Berufsfeld in Augenschein genommen. Mit der Finanzwelt wendet sie sich einem anhaltend aktuellen Thema zu, das in letzter Zeit vermehrt das Interesse der Literatur- und Kulturwissenschaften auf sich gezogen hat. Dabei untersuchen diese Forschungen insbesondere das Verhältnis von Fiktion und Ökonomie. So hat Joseph Vogl in „Das Gespenst des Kapitals“ (2010) ökonomische Texte mit literatur- und kulturwissenschaftlichem Handwerkszeug analysiert und dabei ihre irrationalen und autopoietischen Elemente herausgearbeitet. Umgekehrt wird etwa auf Tagungen wie „Krise, Cash und Kommunikation“ (Universität Mannheim 2011) auch nach medialen Strategien der Krisenrepräsentation gefragt. In Medien dienen beispielsweise Figuren wie der „gewissenlose Wallstreetzocker“ oder der bemitleidenswerte Kleinanleger der Kanalisierung von Gefühlen (Ismer/Peter/von Wedemeyer/Zink).

Schlichtkrulls Roman lässt sich im Rahmen dieser Forschungen lesen. „Krak“ verbindet wirtschaftliche Krisensituationen mit menschlichen Verhaltensweisen und stellt dabei die Irrationalität ökonomischen Handelns heraus. Dies erfolgt durch unkommentierte Geschehensabläufe, die teils komisch gebrochen sind. So wird die allgegenwärtige Angst durch rauschhafte Feste verdrängt oder versucht, der Krise durch vermeintlich vorausschauendes Handeln zu entkommen. Darüber hinaus schildert der Roman das Schreiben von Finanzanalysen und die Werbestrategien der Bank so, dass die fiktionalen Züge der ökonomischen Kommunikation erkennbar werden.

„Krak“ ist durch eine sprachliche Knappheit gekennzeichnet, die sich in kurzen Sätzen, Absätzen und Kapiteln niederschlägt. Die knappen Dialoge lassen viel Ungesagtes aufscheinen. Es entsteht so häufig ein nahezu schmerzhaftes Schweigen angesichts der Angst vor dem Absturz. In der Knappheit des Stils gleicht der Text vielen Romanen, deren Autoren wie Schlichtkrull Absolventen der Forfatterskole sind.

Den Protagonisten Claus lernen die Leserinnen und Leser durch sein Verhalten kennen, er scheint kaum ein Gefühlsleben entwickelt zu haben. Er vernachlässigt die Beziehung zu seiner Freundin, familiäre Bande scheinen nicht zu existieren. Nur dass sein Vater mit Claus‘ Chef Flemming befreundet war, der den Protagonisten schon seit seiner Kindheit kennt, wird erwähnt. Flemming erklärt, dass er gerne Clown wäre, wenn er einen anderen Beruf wählen sollte. Früher wollte er einmal Boxer werden, „men man skal kende sine begrænsninger. Jeg måtte blive bankdirektør.“ („aber man muss seine Grenzen kennen. Ich musste Bankdirektor werden.“) Diese Kombination aus Lebenslust, Aggression und begrenzten Fähigkeiten kippt im Laufe des Romans immer weiter Richtung Verantwortungslosigkeit und Unfähigkeit. Zuletzt hat Flemming die Auszubildenden der Kreditabteilung auf seinem Schoß sitzen, während seine Frau ihn verzweifelt sucht. Dass gerade die im Kredit Auszubildende dazu missbraucht wird, Vertrauen zu untergraben, ist ein Beispiel für die ironischen Brechungen des Textes.

Zu Beginn des Romans wird das Architekten-Modell eines neuen Bankgebäudes gezeigt. Es soll neben einem Neubaukomplex entstehen, den die Bank ebenfalls finanziert. Claus‘ Kollege Morten bezeichnet das geplante Gebäude als Mausoleum. Schon bald gerät das Bauprojekt ins Stocken, nichtgedeckte Kredite zeigen Wirkung. Auch das Haus, in dem die eingangs erwähnten Partys stattfinden, wird genau geschildert. Es muss später verkauft werden, als die Krise seinen Besitzer erreicht. Der Pool füllt sich mit Blättern; Scheiben gehen zu Bruch. Im bisherigen Bankgebäude schmiert der Liquiditätschef gegen Ende des Romans Exkremente an die Wände. So wird auf materieller Ebene die Auflösung greifbar, die von den Beteiligten immer wieder geleugnet wird. Schlichtkrull gewinnt ihr durch die groteske Übersteigerung und Wortwitz komische Züge ab.

Morten wird gleich am Anfang entlassen. „Fordi han ikke længere havde fokus“ („Weil er keinen Fokus mehr hatte“, erklärt eine Kollegin. „[H]an havde glemt hvor hans tilhørsforhold var“ („[E]r hatte sein Zugehörigkeitsverhältnis vergessen“), sagt der „HR-chef” vielsagend, dessen Aufgabe die Verwaltung der ’Human Ressources’ ist. Aber was heißt Zugehörigkeit bei einem Arbeitgeber, der seine Mitarbeiter als Ressource bezeichnet und sie wegwirft wie den Überrest des Tagesgerichts, der zu Beginn des Romans im Mülleimer landet? Die vom HR-Chef angedeutete Illoyalität des Mitarbeiters gegenüber dem Arbeitgeber wird gespiegelt in der Geschichte einer Kollegin von Claus, deren Mutter ihre Ersparnisse in Aktien der Bank investiert hat. Die Kollegin rät ihrer Mutter trotz Krise nicht zum Verkauf und verhält sich damit loyal gegenüber der Bank, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass ihre Arbeit auf einem Lügengebäude beruht. Am Ende bleibt der Mutter, einer ehemaligen Smørrebrødsjomfru, nur noch ein Bruchteil ihres Geldes. Wohin führt die Treue gegenüber einer Bank, die diese nicht verdient hat? Auch Claus wird zuletzt entlassen. „Det ser ud til at du er ved at miste fokus“ („Es sieht so aus, als ob du dabei bist, den Fokus zu verlieren“), sagt der HR-Chef ihm.

Den Fokus halten, das heißt an der im Roman erzählten Geschichte von der Auferstehung, der nie versiegenden Stärke, festzuhalten. Diese Geschichte entwickelt der Chef der Kommunikationsabteilung im Laufe des Romans immer weiter. Er erklärt, die Bank hätte eigentlich „Odin Bank“ heißen sollen. Doch der damalige Kommunikationschef habe befürchtet, an dem Namen könnte sich jemand stören, so dass das „O“ einfach weggelassen wurde. Die Bank wurde zu „Din Bank“. An den mythischen Ursprung möchte der neue Kommunikationschef nun wieder anknüpfen, um Stärke zu signalisieren. Im geplanten Werbespot soll der Börsenmakler als Märtyrer gezeigt werden, der durch die Krise an Kraft gewinnt und als Krieger wiederaufersteht. Bei dieser Vorstellung wird der Kommunikationschef ganz enthusiastisch.

Der Mythos ist nach Hans Blumenberg eine Reaktion auf den Schrecken der Welt, die diesen durch Geschichten erklärbar macht. Er ist eine Bewältigungsstrategie. Diese Bewältigungsstrategie trägt in der Figur des Kommunikationschefs deutlich autosuggestive Züge, die seiner Systemkonformität zuträglich sind: Er wird trotz Austauschs der Chefetage nicht entlassen. Claus wählt einen anderen Weg. Er verlässt zuletzt pfeifend seinen Arbeitsplatz – „Det var ufattelig lidt han ville tage med sig.“ („Es war unfassbar wenig, was er mitnehmen wollte.“)

Dies scheint angesichts des um sich greifenden Wahnsinns der vielversprechendere Weg. Schlichtkrulls Roman, so könnte man sagen, ist selbst zu ökonomisch, um auszuformulieren, wie dieser Weg aussehen könnte. Aber er zeigt zumindest, dass es ihn geben könnte.

Signe Schlichtkrull: Krak. Samleren, 2012.
(Frederike Felcht, Greifswald, Juni 2012)

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