Josefin Holmström: Antarktis

holmströmDie arktischen Regionen haben Konjunktur. Nachdem die Polarregionen aus ökonomischen und ökologischen Gründen um das Jahr 2000 wieder ein breites öffentliches Interesse erlangt haben, das nahezu dem der Entdeckerneugier der vorigen Jahrhundertwende entspricht, ist es nicht erstaunlich, dass auch literarische Texte über die Arktis wieder gelesen, neu aufgelegt oder geschrieben werden. Waren die Expeditionsberichte von Scott, Nansen oder Amundsen zu ihrer Entstehenszeit Bestseller, so haben auch einige moderne Romane bereits den Status von Arktis-Klassikern erreicht. In der deutschen Literatur gilt das vor allem für Sten Nadolnys Die Entdeckung der Langsamkeit (1983) und Christoph Ransmayers Die Schrecken des Eises und der Finsternis (1987), im skandinavischen Zusammenhang muss man Kåre Holts Südpolroman Kappløpet (1974) sowie Per Olof Sundmans Ingenjör Andrées luftfärd (1969) über die missglückte Ballonfahrt erwähnen, die beide einen höchst kritischen Dialog mit dem angeblichen Heldentum der Entdecker führen. Da ein dokumentarisches Interesse ein allen diesen Romanen gemeinsamer Ausgangspunkt ist, könnte man vermuten, dass die Thematik sich mit diesen großartigen Texten eventuell schon erschöpft haben könnte.

Nun legt die schwedische Debütantin Josefin Holmström einen kurzen Roman mit dem Titel Antarktis vor, der das ideologiekritische ihrer skandinavischen Vorgängertexte nicht teilt. Die Autorin ist in Oxford ausgebildete Literaturwissenschaftlerin und dem schwedischen Publikum als Rezensentin und Feuilletonredakteurin vom Svenska Dagbladet bekannt. Die schwedische Literaturkritik fand einhelliges Lob für den Debütroman; ihre eigene Zeitung lud, um Interessenskonflikte zu vermeiden, die prominente Gastrezensentin Maria Schottenius ein, die den Roman als »raffinerad i ord och tanke« bezeichnete. Die hier angesprochene Raffinesse bezieht sich in erster Linie auf die Parallelführung zweier Handlungsstränge, von denen einer wiederum eine dokumentarische Ebene darstellt. Verwoben wird die berühmte Geschichte vom Scheitern der englischen Südpolexpedition Robert Falcon Scotts mit einer in der Gegenwart angesiedelten Handlung, die die Ich-Erzählerin als Teilnehmerin einer wissenschaftlichen Expedition ebenfalls an den Südpol führt. Sie nimmt nicht als Wissenschaftlerin, sondern als Schriftstellerin an dieser Reise teil, an der sie zum einen ihr reges Interesse an Scotts tragischer Biographie reizt, zum anderen die Begegnung mit dem Jugendfreund Jonathan, der der Gruppe als Geophysiker angehört und den sie seit Jahren nicht gesehen hat. Im ersten Teil des Buches wechseln kurze Passagen zwischen der historischen Perspektive auf Scott und der Gegenwartshandlung um die Erlebnisse und Gedanken der Ich-Erzählerin regelmäßig, ja geradezu schematisch ab. Im weiteren Verlauf treten dann die aktuelle Expedition, das Verhältnis zu Jonathan und die Psyche der Erzählerin Gertrude immer mehr in den Vordergrund.

Der Spannungsbogen wird dadurch generiert, dass dem Leser das Wissen vorenthalten wird, was die Erzählerin und Jonathan in Wahrheit verbindet. Um dieses Geheimnis im Zentrum des Textes auch hier nicht preiszugeben, sei nur erwähnt, dass es nicht nur um das Verhältnis der beiden zueinander, sondern um ein Dreiecksverhältnis und einen tragischen Todesfall geht, der seinerseits Gertrudes Interesse an Scott und an der Eislandschaft des Pols motiviert. Beabsichtigt ist wohl, dass auch aus der doppelten Handlungsführung ein Drittes hervorgeht, dass aus der Gegenüberstellung von Damals und Jetzt eine Verallgemeinerung erwächst, die aus einer psychologischen Individualstudie und einem tragischen Scheitern eine anthropologisch oder existentiell ausgerichtete Botschaft hervortreten lässt. Schließlich geht es in diesem kleinen Roman um die ganz großen Themen: um Leben und Tod, um Liebe und Schuld, um Heldentum und um Scheitern.

Um dieses Ziel glaubhaft zu erreichen, ist der Roman in seinem Handlungskern aber zu konstruiert, seine Plotelemente sind zu unwahrscheinlich, die psychologische Ebene ist nicht durchgehend glaubhaft. Der Text ist zwar sprachlich gelungen, angenehm zurückhaltend, doch mit Sinn für das beobachtete Detail formuliert, so dass sich Knappheit und Klarheit die Waage halten. Es stellt sich auch heraus, dass die Sehnsucht nach der Eislandschaft des Pols sowohl psychologisch motiviert ist als auch metaphorisch verstanden werden kann: Eis und Schweigen, Schuld und Tod werden miteinander überblendet. Aber dass der Plot, der die beiden Protagonisten erst in Lebensgefahr bringen muss, um sie (und den Leser) zu Gesprächen und Erkenntnissen zu führen, erscheint dann doch als schriftstellerisches Mittel aus der Trickkiste. Der Roman weist durchaus sprachliches Potential und etliche gute Darstellungsmittel auf, die aus dieser Debütantin möglicherweise bald eine erfolgreiche Schriftstellerin machen, aber Antarktis wird sicher kein Klassiker der modernen Polarliteratur.

Josefin Holmström: Antarktis. Stockholm: Norstedt 2013.
(Annegret Heitmann, München, Oktober 2013)

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